Natürlich machen wir alle im Ernstfall eigene Messungen, ehe wir eine Adsorptionsanlage planen (wir sind ja schließlich nicht lebensmüde!), möchten aber vorweg wenigstens eine Vorstellung davon bekommen, was uns erwartet. Also suchen wir in der wissenschaftlichen Literatur nach den Messungen anderer Leute – um dann auf Isothermen mit den Achsenbezeichnungen p/kPa und Molekül/Elementarzelle zu stoßen. Was nun?
Wie solche „enttäuschenden“ Funde unter Umständen doch verwertet werden können, möchte ich Ihnen in diesem und dem folgenden Blogbeitrag anhand einiger Beispiele vorrechenen.
Beispiel 1: Lineare und verzweigte Kohlenwasserstoffe an Silicalit [1], „Molekül pro Elementarzelle“
Diese Adsorptionsisothermen wurden für 300 K auf Silicalit-1 gemessen (gefüllte Symbole) bzw. simuliert (leere Symbole). Die Einheit der Abszisse stellt weiter keine Schwierigkeit dar, denn der Partialdruck p lässt sich mittels des Konversionsfaktors in mg/m³ umrechnen. Konversionsfaktoren finden sich z. B. in Chemikalien- oder Gefahrstoffdatenbanken (siehe hier, einige der Links dürften noch aktuell sein). Für n-Butan beträgt er 3,08:
- 1 ml/m³ = 3,08 mg/m³
- 1 kPa sind 9.870 ml/m³,
das heißt, der Abszissenbereich ersteckt sich von 30 mg/m³ bis über den Atmosphärendruck hinaus [2]. Der S-förmige Verlauf der Isotherme ergibt sich aus der logarithmischen Skala der Abszisse. Was aber bedeutet der Ordinatenwert?
Da es eher unwahrscheinlich ist, dass bei der Adsorptionsmessung direkt Moleküle in Elementarzellen gezählt wurden, wurden die Messwerte höchstwahrscheinlich konventionell – d. h. gravimetrisch – gemessen. Ein Blick auf den Originaleintrag in der Datenbank der Zeitschrift könnte zeigen, ob solche Messungen als Zusatzmaterial („supplementary data“) verfügbar sind, das ist hier aber nicht der Fall. Außerdem zeigt genaues Lesen des Artikels, dass die Arbeitsgruppe, die sich mit Simulationen beschäftigt, die Messungen nicht selbst durchgeführt, sondern aus der dort zitierten Literaturstelle (4) entnommen hat.
Es lohnt sich auf jeden Fall, die zitierte Originalliteratur herunterzuladen, zumal der Abstract reichlich Messwerte in numerischer Form in Aussicht stellt und das verwendete Adsorbens in [1] auch nicht genau bezeichnet worden ist, d. h. Hersteller, Korngröße etc. sind nicht genannt. Der Download kostet bei gegenwärtigem Dollarkurs ca. 25,- , man benötigt eine Kreditkarte.
Wer nun absolut kein Budget dafür hat, dem steht eine aufwändige Suche und eine gewisse Unsicherheit bevor, denn auch die „Unit Cell“ ist in der Literatur nicht definiert worden. Der Begriff Elementarzelle ist zwar eindeutig, aber gerade im Zeolithbereich wird er manchmal abenteuerlich verwendet, bezieht sich auf einen Superkäfig oder Ähnliches, anstatt auf die kristallografische Elementarzelle. Schauen wir nach, ob sein kann, was wir ausrechnen:
Nach einigen Versuchen ergibt die Suchanfrage ’silicalite „unit cell“ formula‘ bei google das folgende Ergebnis:
Dort steht für die Formel der Elementarzelle Si96O192. Zwar Lässt sich die Originalstelle nicht einsehen (zumindest nicht ohne zu bezahlen), aber google darf wohl mehr als wir…
- Eine Elementarzelle hat demnach die Masse von 5768 U
- 1 Molekül (Molekülmasse von Butan ist 58 g/Mol) pro Elementarzelle bedeutet eine Beladung von ziemlich genau 1 Gew.-%.
- 0,1 kPa = 2,63 g/m³ führen zu einer Beladung von ca. 5 Gew.%. Das ist extrem wenig, aber nicht ganz unrealistisch – schließlich kennen wir ja die eigentlichen Versuchsbedingungen immer noch nicht.
Diese Umrechnung der Isotherme ist nicht sonderlich vertrauenerweckend – höchstens als eine allererste Idee über die Adsorptionskapazität lassen sich die Daten verwenden, aber schon für Vorstudien sollte unbedingt die Originalliteratur mit den Messungen zu Rate gezogen werden. Vielleicht zeigt sich dort nämlich, dass die Versuchsbedingungen ansonsten so stark abweichen, dass die Messung für unsere Zwecke unbrauchbar ist.
[1] Adsorption of Linear and Branched Alkanes in the Zeolite Silicalite-1, T. H. J. Vlugt et al., J. Am. Chem. Soc. 1998, 120, 5599-5600
[2] Man braucht nicht genauer zu rechnen als man ein Diagramm ablesen kann, aber für alle, die es ganz genau wissen wollen, hier die kleine Temperaturkorrektur: Die Isothermen wurden bei 300 K, also 27 °C aufgenommen, der Konversionsfaktor war für 20 °C angegeben. Da 1 kPa = 987 ml/m³ bei der höheren Temperatur weniger wiegen, muss mit dem Verhältnis der Molvolumina bei beiden Temperaturen korrigiert werden, d. h. der Konversionsfaktor Fk ist
Fk, T2 = Fk, T1 * (Vm(T1)/Vm(T2)) = 3,08 * (24,061/24,881) = 2,98.
So genau kann man diese Isotherme aber beim besten Willen nicht ablesen.
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