Labor und Produktion
„Wozu denn Scale-Up? Warum sollte etwas, was im Rundkolben funktioniert, nicht auch im Reaktor laufen?“
Neue chemische Verbindungen tauchen zum ersten Mal meistens in Milligramm-Mengen auf, etwa aus Screeningversuchen oder der Untersuchung von Naturstoffen. Wenn eine dieser Verbindungen – etwa ein Wirkstoffkandidat oder eine funktionelle Verbindung – vielversprechend aussieht, wird im Labor eine Synthese für wenige Gramm entwickelt.
Offensichtliche Schwierigkeiten
Diese Synthese dient nur dazu, genügend Substanz für eine Charakterisierung in die Hand zu bekommen. Es ist zu dem Zeitpunkt nicht wichtig, ob die Synthese optimal ist oder eine der Eigenschaften hat, die die Umsetzung in den Produktionsmaßstab schwierig machen, etwa:
- Spezielle, seltene oder teure Ausgangsstoffe, etwa chirale Ausgangsstoffe oder Edelmetallkatalysatoren
- Viele Synthesestufen
- Niedrige Ausbeuten in der Mitte oder gegen Ende des Syntheseweges
- Aus (umwelt)toxikologischer Sicht problematische Lösungsmittel, wie viele Halogenkohlenwasserstoffe oder Benzol
- kostspielige Aufarbeitungsmethoden (mehrfache Extraktionen oder Chromatographie)
Solche Probleme liegen von Anfang an auf der Hand und können nur durch Optimierungsversuche im Labor gelöst werden.
Verborgene Tücken des Scale-Up
Einige Eigenschaften der Synthese, die die Vergrößerung um mehrere Größenordnungen sehr schwierig machen können, fallen im halbmikropräparativen Maßstab oft nicht auf und treten erst dann zutage, wenn die Synthese in einer Größe für 50 – 500 g durchgeführt wird:
- Temperaturempfindlichkeit bei starken thermischen Effekten
- Temperatur- und reaktionszeitabhängige Nebenreaktionen (beide Effekte fallen bei winzigen, in Sekundenschnelle erwärmten und abgekühlten Reaktionsbehältern nicht immer auf)
- Einflüsse durch Nebenbestandteile in den Ausgangsstoffen (dies fällt nicht auf, so lange man sich immer aus der selben Chemikalienflasche bedient).
Die klassische Vorgehensweise beim Scale-Up
Steht bereits fest, dass die Verbindung produziert werden soll, wird von diesem Punkt an eine chemische Prozessentwicklung in immer größer werdenden Ansätzen durchgeführt. Hierbei wird die Synthese so optimiert, dass die Überführung in den technischen Maßstab überhaupt erst möglich wird. Die Probleme werden so gelöst wie sie auftauchen.
Das Problem dabei
- Der Prozess ist langwierig und aufwändig.
- Geschäftsleitung und Marketing möchten gerne vorher wissen, was die Substanz pro Kilogramm kosten wird.
Beispiele
- Ein Hersteller von Naturstoffen wollte die gut bekannte biotechnologische Produktionsroute für einen Naturstoff mit der chemischen Vollsynthese vergleichen. Es existierte eine im Labor geprüfte Synthese. Zusätzlich wollte man wissen, ob die Synthese schon auf den ersten Blick Optimierungspotenziale offenbart – oder auch Killerkriterien.
- Ein Hersteller von funktionalen Chemikalien wollte wissen, was die ersten paar kg einer sehr komplexen Chemikalie kosten würden, welche für Versuche benötigt wurden und außer Haus (in Lohnsynthese) hergestellt werden sollten. Er wollte aber nicht selbst durch Anfragen in Erscheinung treten.
- Ein Investor wollte für eine patentierte, jedoch noch nicht technisch umgesetzte Synthese wissen, ob die Chemikalie auf lange Sicht in ihrem preissensitiven Markt Aussichten auf kommerziellen Erfolg hätte.
Beratung
Zu diesem frühen Zeitpunkt gleicht das Problem einem Puzzlespiel mit fehlenden Teilen, oder der Rekonstruktion einer Vase aus wenigen Scherben. Die fehlenden Informationen werden, so gut es geht, ergänzt. Je nach verwendetet Informationsquelle muss man dabei eine gewisse Unsicherheit in Kauf nehmen.
- Einfach ist meist die Beschaffung von Chemikalien- und Komponentenpreisen: Es gibt Preisspiegel und gut etablierte Abschätzungsvorgänge für diese Art von Informationen.
- Die Produktionskosten werden entweder nach einem Kesselstundenmodell kalkuliert, oder die Anlagenkosten werden überschlägig ermittelt und über die Abschreibung auf den Preis des Endproduktes aufgeschlagen. Verschiedene Nebenkosten, etwa für Entsorgung, Abluftbehandlung, Verluste beim Lösungsmittelrecycling Reinigungskosten etc. müssen neben den Lohnkosten an dieser Stelle ebenfalls berücksichtigt werden. Die Unsicherheit beträgt hier oft schon ± 40%.
- Die größte Unsicherheit besteht in der Abschätzung möglicher Scale-Up-Resultate, etwa bei der Beantwortung von Fragen wie: „Wie weit können wir die Ausbeute in dieser Stufe verbessern?“ oder „Werden wir den Palladium-auf-Kohle-Katalysator durch einen anderen Katalysator ersetzen können?“ Selbst ein Vergleich mit ähnlichen Reaktionen aus der chemischen Literatur gibt keine Sicherheit ohne Versuchsergebnisse. Bestenfalls können verschiedene Szenarien geschaffen werden, die angeben, wie der Preis des Endproduktes abhängig vom Ergebnis des Scale-Up aussehen würde.