„Wenn zu einem Projekt n Komponenten benötigt werden, werden n-1 Komponenten davon beschaffbar sein.“ (Murphy’s Gesetz der Unvollständigen Induktion)
Stoffdaten sind bei vielen Auslegungen in der chemischen Verfahrenstechnik der Angelpunkt – und oftmals das Nadelöhr bei der Datensammlung. Unkritisch übernommene Stoffdaten können das Endergebnis der Berechnung um mehrere Größenordnungen abweichen lassen. Und manchmal findet man überhaupt keine Stoffdaten, weder brauchbare noch unbrauchbare.
Stoffdaten im erweiterten Sinn können zum Beispiel sein:
- (Mischungs)Dampfdrücke
- Löslichkeiten und Mischbarkeiten
- Octanol-Wasser-Verteilungskoeffizient
- Explosionsgrenzen
- Phasendiagramme
- Adsorptionsdaten
- biologische Abbaubarkeit
- toxikologische Daten
- Materialkompatibilitätsdaten
- u. a. m.
Kennzeichen „guter“ Stoffdaten
„Gute“ Stoffdaten meint in diesem Zusammenhang: Stoffdaten, die für die geplante Berechnung verwendet werden können. Dazu müssen sie unter vergleichbaren Bedingungen gemessen worden sein – wenn das nicht zutrifft, sind die Daten meist wertlos.
- Dampfdrücke von Lösungsmittelgemischen lassen sich nur in Ausnahmefällen (den seltenen „idealen Systemen“) aus den Einzeldampfdrücken ermitteln. Ein Gemisch liegt schon vor, wenn ein Lösungsmittel mit etwas Wasser verunreinigt ist: Dadurch kann sich das Siedeverhalten bedeutend ändern.
- Je nach Bestimmungsmethode kann der Flammpunkt um bis zu 10 °C abweichen.
- Bei Beständigkeitsdaten kommt es sehr genau auf die Randbedingungen des Tests an – mechanische Belastung und Temperatur sind sehr wichtig für den Ausgang der Prüfung, werden aber oft nur unvollständig dokumentiert.
- Und nicht einmal im Notfall sollte man sich auf die Ergebnisse diverser, kostenfreier Berechnungstools im Internet verlassen.
Während die Eigenschaften reiner Stoffe unter Standardbedingungen oft schon den Chemikalienkatalogen der Hersteller entnommen werden können, sind es oft nicht diese Daten, die benötigt werden.
Das Problem
Für eine Lösemittlerückgewinnung sollte die destillative Trennbarkeit eines Zweistoffgemisches ermittelt werden. Im Grunde handelte es sich dabei um ein Dreistoffgemisch, denn während der Anwendung kamen immer auch gewisse Mengen Wasser dazu. Gesucht war also ein Siedediagramm für die ungewöhnliche Lösemittelkombination.
Was der Kunde wollte
- Wissen, ob eine destillative Trennung überhaupt möglich, und ob sie wirtschaftlich sinnvoll sein könnte.
- Eine Vorstellung über den Umfang notwendiger Vorversuche zu bekommen.
Was der Kunde nicht wollte
- Eine Investitionsruine – eine Destillation, die dann kein brauchbares Regenerat liefert.
- Zu viele Technikumsversuche.
Vorgehensweise und Lösung
In der Fachliteratur und in thermodynamischen Datenbanken wurde nach Daten für das Siedeverhalten des Dreistoffgemisches gesucht. Wie vorher schon vermutet, gab es in diesem Fall ein binäres Azeotrop. In der Theorie zumindest hätte das niedrigsiedende Lösungsmittel in relativ reiner Form durch eine kurze Rektifikationskolonne wiedergewonnen werden können. In der Praxis war der Einfluss des Wassers aber nicht bekannt. Hierfür konnte jedoch eine kurze Laborbestimmung in Auftrag gegeben werden, da nur noch ein Parametersatz – Einfluss des Wassergehaltes auf die Lage des Azeotrops – bestimmt werden musste.