Problemstellung
Die Abluftwäsche ist ein gut etabliertes Verfahren und oftmals die erste Überlegung, wenn ein neues Abluftreinigungssystem geplant wird. Sie ist aber nicht immer das beste Verfahren. Speziell bei wenig wasserlöslichen Verbindungen kann sie ineffektiv werden. Ein Anlagenplaner hatte gute Erfahrungen mit Oxidationswäschern gemacht und wollte von mir wissen, ob für den folgenden Fall einer Styrol-beladenen Abluft (Hauptkomponente Styrol, ca. 15% Ethylacetat) oxidative Wäsche ein geeignetes Verfahren sei.
Was der Kunde wollte
Die Machbarkeit des Verfahrens theoretisch überprüfen, ehe Arbeit in die Angebotserstellung investiert wird.
Was der Kunde nicht wollte
Unnötige Versuche. Eine nicht funktionierende Abluftreinigungsanlage bauen.
Vorgehensweise und Ergebnis
Hier folgt kurz die Berechnung anhand der vorgegebenen Abluftdaten und der physikalischen und chemischen Eigenschaften von Styrol.
Rohgasdaten für den Styrolwäscher
Quelle Nr. | Volumenstrom | CFID | Emission (Styrol) |
---|---|---|---|
Nr. | in m³/h | in ppm | in kg/h |
1 | 8.941 | 1.500 | 14,5 |
2 | 13.224 | 0 | 0 |
3 | 15.524 | 260 | 4,4 |
4 | 11.787 | 300 | 3,8 |
5 | 1.603 | 1.050 | 1,8 |
6 | 1.802 | 30 | 0,05 |
7 | 2.382 | 0 | 0 |
8 | 6.756 | 0 | 0 |
9 | 4.665 | 0 | 0 |
10 | 7.294 | 280 | 2,2 |
11 | 8.365 | 200 | 1,5 |
12 | 7.061 | 200 | 1,5 |
13 | 7.717 | 20 | 0,2 |
14 | 3.232 | 0 | 0 |
Summe | 100.356 m³/h | 20,52 kg/h |
An diesem Punkt ging es nicht um die verfahrenstechnische Optimierung – also z. B. das Bündeln von möglichst konzentrierten Stoffströmen – sondern nur darum, herauszufinden, welchen Chemikalien- und Wasserbedarf so ein Wäscher mindestens haben würde, um die anfallende Styrolfracht zu bewältigen.
Stoffdaten von Styrol und Berechnung des Dampfdrucks der wässrigen Lösung
Löslichkeit in Wasser | 0,31 g/l bei 25 °C [1], [2] |
Dampfdruck p bei 25 °C | 0,00798 bar = 36,6 g/m³ Luft |
Henry-Konstante | 0,00275 atm*m³/mol [3] |
Dampfdruck der gesättigten Lösung bei 25 °C | 0,00804 bar |
TA Luft (damals die von 1986) für Styrol (Klasse II; 0,1 g/m³) wird theoretisch erreicht bei | 0,97 g/m³ Styrol im Waschwasser |
Wäschergröße
Kinetische Daten für die Umsetzung von Styrol mit Wasserstoffperoxid liegen nicht vor. Aus vergleichbaren, in einer Recherche gewonnenen Daten kann als Größenordnung ein Zeitraum von 2 Stunden angenommen werden, bis 90% des Styrols in eine besser wasserlösliche Form (z. B. Phenylglykol) überführt sind. Der Wäscher einschließlich des Nachreaktionsbehälters müsste demnach ein Wasservolumen von ca. 30.000 m³ besitzen.
Reaktandenverbrauch
Ca. 2 – 3 m³ 30 %-ige H2O2-Lösung am Tag. Es ist nicht anzunehmen, dass Styrol unter diesen Bedingungen zu CO2 und H2O abreagiert, ca. 10 m³ Wasser am Tag müssen abgeschlämmt und entsorgt werden. Der geschätzte Verbrauch an NaOH (fest) – er kann, wie der Verbrauch an H2O2, erst im Betrieb genau ermittelt werden – liegt bei 260 kg am Tag. [ 4 ]
Die Größe des Wäschers selbst lässt sich durch geeignete Auslegung verringern, jedoch am Gesamtwasservolumen sowie am Wasser- und Chemikalienbedarf ändert sich dadurch nichts.
Weitere Zahlenspielereien
Wollte man allein mit Wäsche, also ohne Oxidationszusatz, einen einstufigen Wäscher betreiben, so würde dieser ca. 81 m³/h Wasser verbrauchen, welches einen CSB-Wert (eigentlich ThSB, Theoretischen Sauerstoff-Bedarf [ 5 ]) von 1,791 mg O2/lt hätte. Die gesättigte wässrige Lösung von Styrol hat einen ThSB-Wert von 572 mg O2/lt.
Ergebnis
Solche Rechnungen müssen durch eine (gemessene oder bei bekannten Reaktionen modellierte) Reaktorkinetik bestätigt werden. In diesem Fall gaben sie jedoch die deutliche Auskunft, dass zumindest ohne Umstrukturierungen in der Luftabsaugung mit einem end-of-pipe-Wäscher das Abluftproblem nicht wirtschaftlich tragbar gelöst werden kann.
[ 1 ] Auer-Technikum Ausgabe 11
[ 2 ] US-EPA, Styrene Fact Sheet
[ 3 ] R. Sander, Collection of Constants for Henry’s Law. Die Sammlung war früher auf der Website der Max-Planck-Gesellschaft zum Download angeboten, mittlerweile aber entfernt. Der Autor bietet die Daten weiterhin hier an, allerdings mit veränderten Einheiten.
[ 4 ] Der weitaus größte Teil an Lauge geht dabei durch die Reaktion mit dem CO2 der Luft verloren.
[ 5 ] Der Theoretische Sauerstoffbedarf ist der Sauerstoffbedarf bei vollständiger Umsetzung der Verbindungen zu Wasser und CO2. Er ist größer oder gleich dem tatsächlichen CSB, welcher nach einem DIN-Verfahren gemessen wird. Zur Berechnung des ThSB anhand der Formel und der Konzentration der Verunreinigung können Sie ein rechnendes Excel-Blatt herunterladen. Über den TSB (den Totalen Sauerstoffbedarf, der durch Oxidation in der Gasphase bestimmt wird) und der quantitativ dem ThSB entspricht, informiert ein Artikel in CHEMIE TECHNIK vom Juni 2010.