In meiner Küche steht das (megateure) Mittelklassemodell eines bekannten Herstellers von Kaffeevollautomaten, aus einem kleinen gebirgigen Land, in dem man seit jeher gut mit Geld umgehen konnte. Es kocht tatsächlich richtig guten Kaffee, aber es ist nicht nur in der Anschaffung teuer, sondern auch im Betrieb. Man benötigt, neben Kaffeebohnen, nämlich:
- Spezielle Reinigungstabletten für den „mediumberührten“ Teil, also den, durch welchen der Kaffee fließt
- Spezielle Reiniger für das Milchsystem, in welchem sich sonst Milchstein aufbaut. Diese aus Wasserhärte und Milcheiweiß aufgebaute Ablagerung trägt die Bezeichnung „Stein“ ganz zu Recht, „Milch-Widia“ wäre auch nicht unzutreffend.
- Wasserenthärterpatronen zu ca. 14,99 € das Stück, die für 500 Tassen reichen, verhindern sollen, dass die Maschine verkalkt, und angeblich schmeckt Kaffee aus gefiltertem Wasser ja auch besser. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
- Und trotzdem gelegentlich spezielle Entkalkertabletten (bloß nicht das Zeug aus dem Drogeriemarkt, buh!).
Das Ganze hat zwei unangenehme Folgen: Erstens muss man sich von gewissen Menschen anhören, die einem beim Wuseln, Putzen und Programmieren der Maschine zusehen, mit einer Pressstempelkanne hätte man sich viel Ärger und Geld erspart und letzteres hätte man spenden können, und zweitens nagende Zweifel, ob hier nicht jemand am Verbrauchsmaterial übermäßig verdient und man, kurz gesagt, über den Tisch gezogen wird.
Mein besonderer Verdacht gilt dem niedlichen kleinen Filterpatrönchen, mit einem Namen wie eine chinesische Ballerina und einer Größe, bei der ich mich frage, wie sie mit der kaffeesüchtigen Generation X oder der von Latte Macchiato angetriebenen Generation Z mitkommt, falls eine dieser Gruppen sich in unserem Haus versammelt.
Das Schlagwort heißt „hydraulische Belastung“.
Ionenaustauscher
Ein Ionenaustauscher ist zunächst eine Feststoffsäure oder -base. Das poröse Polymerpartikel trägt saure oder alkalische Gruppen über seine äußere und innere Oberfläche verteilt. Wer sich tiefer informieren will, kann das anhand einer der zahlreichen Online-Enzyklopädien (etwa Chemgapedia) leicht tun.
Will man Wasser enthärten, benutzt man einen Kationenaustauscher in seiner Natriumform. Die wichtigste Kenngröße eines solchen Materials (vorausgesetzt, es ist chemisch für den Anwendungsfall geeignet) ist die Austauschkapazität, angegeben in meq/ml. Sie besagt, wieviele Milliequivalente [1] eines Ions das Harz pro cm³ der Schüttung austauschen kann. Ein typischer Wert für ein gutes Material ist 4 meq/ml, einfachere – und dann auch deutlich preiswertere – Materialien haben gelegentlich weniger als 2 meq/ml.
Hydraulische Belastung
„Enthärten“ bedeutet, Ca- und Mg-Ionen aus dem Wasser (die sogenannten Härtebildner) werden gegen Natrium ausgetauscht, mit welchem der frische Ionenaustauscher beladen ist.
Dieser Vorgang findet nicht augenblicklich statt: Die Ionen müssen in die Tiefe diffundieren und die ausgetauschten Ionen wieder herausdiffundieren. Als Folge kann man einen Ionenaustauscher nicht beliebig schnell mit Wasser durchspülen. Es gibt eine Maximalgeschwindigkeit, welche als maximale hydraulische Belastung bezeichnet wird: Wenn ein Wasserfilter 1 l Austauscherharz enthält und die maximale hydraulische Belastung ist mit 10 BV/h (Bettvolumina pro Stunde) angegeben, dann bedeutet das, dass man mit dem Filter maximal 10 l Wasser pro Stunde mit der angegebenen Spezifikation filtrieren kann. Typische Werte liegen bei 12 – 15 BV/h.
Kann die Filterpatrone es schaffen?
Da ich einen hochqualifizierten Modellbauer mit vollständig ausgestatteter Werkstatt im Hause habe, bat ich denselben, eine gebrauchte Filterpatrone aufzusägen. Und so sieht sie aus:
Ursprünglich enthielt die Patrone wahrscheinlich eine kleine Schicht Aktivkohle an der Eintrittsseite (rechts im Bild) und darüber das Harz. Im Betrieb haben sich die beiden Partikelsorten vermischt.
Die Patrone steckt aufrecht im Wassertank, das Wasser wird seitlich unten angesaugt (dort ist der Boden gitterförmig, was auf dem Bild nicht gut zu sehen ist). Es strömt von unten nach oben durch die Schüttung und gelangt durch eine kleine Kunststofffritte (ein Filter, der aus lose zusammengebackenen Kügelchen besteht) in das mittige Ansaugrohr. Von dort aus wird es in die Maschine gepumpt.
Das Volumen der Schüttung wurde durch Ausmessen bestimmt. Großzügig gerechnet enthält die Patrone 150 ml Harz.
Die Berechnung
Bettvolumen Harz | 150 cm³ |
Spezifische Austauschkapazität (angenommen) | 4 meq/cm³ |
Gesamte Austauschkapazität des Harzes | 150 cm³ * 4 meq/cm³ = 600 meq |
Kaffeedurchsatz (maximal möglich, laut Stoppuhr) | 200 cm³/min = 12 l/h |
Hydraulische Belastbarkeit des Harzes (angenommen) | 13 BV/h = 1,95 l/h oder 1 Tasse alle 6 Minuten |
Wasserhärte (regional bei mir, in der Maschine einzustellen) | 16 ° d.H. = 5,712 meq/l |
Gesamtmenge Härtebildner in 500 Tassen | 500 Tassen * 0,2 l/Tasse * 5,712 meq/l = 571,2 meq |
Das Fazit
Die Patrone ist also, wie man sieht, ausreichend groß ausgelegt, um das Wasser von 500 Tassen zu enthärten – vorausgesetzt, es wurde hochwertiges Harz eingefüllt. Harz mit einer Austauschkapazität von 4 meq/cm³ kostet ca. 400,- €/l, es kann also, selbst bei großzügigem Wiederverkäuferrabatt, nicht enthalten sein. Eher schafft die Maschine 250 Tassen, oder 500 Tassen, von denen dann die Mehrzahl Espresso sein sollte.
Ein weiteres Problem ist, dass die Enthärterpatrone nicht schnell genug arbeiten kann: Wenn Kaffee für mehrere Personen nacheinander gebrüht wird, wenn Milch geschäumt und Teewasser erhitzt wird, dann ist die erste Portion davon tatsächlich enthärtet, der Rest jedoch gelangt im Vollbesitz seiner Härtebildner in den vor sich hin verkalkenden Boiler und in den Kaffee (letzteres stört wohl nicht).
Mit dieser äußerst knappkantigen Auslegung des Enthärters ist denn auch das Gespräch zu erklären, welches ich mit einem Servicetechniker der Niederlassung Ulm geführt habe. Die Garantie für die Maschine war gerade erloschen, als sie aufhörte zu funktionieren und in die Werkstatt gebracht wurde.
Servicetechniker: „Der Boiler war total verkalkt. Haben Sie die Maschine denn nie entkalkt?“
Ich: „Nein, ich habe sie mit der Enthärterpatrone betrieben. Im Handbuch steht, dann müsse man nicht entkalken.“ [2]
Servicetechniker: „Ahemmm… äääh… jaaa… das steht da, aber es stimmt nicht. Aus unserer Erfahrung heraus schaffen die Patronen das nicht. Sie müssen trotzdem alle paar Wochen einmal entkalken.“
Was ich seitdem auch getan habe. Weil die Alternative, nur noch Espresso oder nur noch alleine Kaffee zu trinken – nicht mehr als eine Tasse in sechs Minuten – oder im Besuchsfall alle mit löslichem Kaffee abzuspeisen mir auch nicht gefällt.
[1] 1 eq – ein Equivalent – ist ein Mol der Ionenspezies, multipliziert mit der Ladung: Ein Mol Ca2+ verbraucht doppelt so viel Kapazität beim Austausch wie z. B. ein Mol Tl+.
[2] Bei genauem Nachlesen steht das übrigens so nicht drin. Dort steht, bei Betrieb mit Filterpatrone „… erhalten Sie keine Aufforderung zum Entkalken“ (wie das ohne Patrone passiert). Das ist tatsächlich nicht das Gleiche.
Frank meint
Ich verzichte Vollstab Hof auf die Patrone in der Kaffeemaschine und fülle statt dessen mit Brita gefiltertes Wasser ein. Diese Patronen sind großzügiger bemessen und Kosten deutlich weniger.
Frank meint
Vollständig
Claudia Arnold meint
Autokorrektur am Werk? *gg*
Ja, der Vorteil der normalen Wasserfilter ist eben der, dass sie langsam vor sich hin filtrieren können.
Andreas Hahn meint
Super Anwendungsbeispiel und sehr gut nachvollziehbar durchgerechnet!
Das Problem bei der ganzen Wasserenthärtung ist aber leider, dass man dabei halt nur die Kalkbildner durch Natrium ersetzt – und dann schmeckt das Wasser eben leicht salzig für empfindliche Gemüter. So ab 200 mg/l gehts da schon los. Für das Aufbrühen von Kaffee selbst ist manchmal sogar förderlich für den Geschmack. Das kann man aber auch einfach selbst testen: einmal den Automaten mit Ionenarmem Wasser füllen (die kommerzieleln Produkte aus dem westlichen Nachbarland sind da besonders arm dran) oder sogar VE-Wasser und dann mal probieren ob sich da ein Unterschied ergibt…
Othmar Berger meint
Danke. Diese Untersuchung hat uns nachdenklich gemacht. Wir haben auch so eine ähnliche Maschine und diese Patronen. Werden künftig auch vorgefiltertes Wasser nehmen.