Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe Spaß an kontrafaktischen Überlegungen. Kontrafaktische Geschichte, wie der Film „Inglorious Basterds„? Immer her damit. Was wäre, wenn die Meere Landmassen und die Kontinente die Ozeane wären – welche geopolitischen Verhältnisse hätten wir dann? [1] Ich könnte mich stundenlag damit beschäftigen. Oder Retrofuturismus wie Steampunk? Den finde ich immer eine Augenweide (wenn nur diese viktorianischen Korsette mit ihrer Stahlbewehrung nicht wären…).
Retrofuturistisch bzw. kontrafaktisch ist auch mein Versuch, dem bing-Bildergenerator mittelalterliche Gaschromatographen und einen leibhaftigen Weihnachtsmann, der neben seinem Tagesjob in der Petrochemie abends in seinem Labor an ein paar Eigenentwicklungen bastelt, abzuschmeicheln. Die Ergebnisse gefallen mir persönlich nicht schlecht und sind unten zu sehen.
Gleichzeitig möchte ich Ihnen auch ein paar charakteristische Patzer der KI zeigen und Ihnen dabei helfen, Ihren Blick für KI-generierte Bilder zu schärfen. Denn zugegeben: Auf das Bild von Papst Franziskus I in einer hochmodischen weißen Daunenjacke bin ich selbst reingefallen. Aber wer sucht, der findet auch die Artefakte, die ein Bild als KI-generiert entlarven – noch.
Der Weihnachtsmann in Hobby und Beruf
Natürlich braucht man hier nicht darüber zu diskutieren, ob dieses Bild „echt“ ist oder ob das Motiv existiert. Könnte man aber erkennen, dass es KI-generiert ist? Hier ist es schwierig. Das häufigste Artefakt, die Hände, sind gut getroffen. Der Gürtel allerdings ist sozusagen falsch herum. Der Dorn ragt von uns aus gesehen an der linken Seite der Schnalle durch den Gürtel, d. h. der zweite Ring, durch den das Ende des Gürtels gezogen wird, müsste rechts davon sein, ist hier aber auch links. In der linken Hand hat der Weihnachtsmann ein seltsames Gefäß, das offenbar mit einer zweifarbigen Flüssigkeit gefüllt ist – aber eine Phasengrenze wäre durchaus möglich, und die merkwürdig geformten und überfüllten Laborgefäße habe ich in vielen Illustrationen schon lange vor dem Aufkommen generativer KI gesehen. Die Frage ist nur, woher kommt der Rauch? Direkt aus den Fingerspitzen?
Ganz anders sieht es hier aus, wo der (klettergewohnte) Weihnachtsmann mal selbst nachschauen geht, wenn es in der Anlage Probleme gibt. Der Gürtel scheint wieder einmal keinen richtigen Verschluss zu haben, aber das ist nur eine Kleinigkeit. Die linke Hand hat drei Finger, die rechte einen überlangen Daumen und auf was steht der Gute eigentlich? Schon mal nicht auf der Leiter. Auch das Messgerät würde ich mindestens neu kalibrieren, das stand beim letzten Katalysatorbrand anscheinend zu nahe dran.
Ein wenig Retrofuturismus
Wenn es im Mittelalter schon Gaschromatographen gegeben hätte, wie hätten sie ausgesehen?
Dieser erinnert ein wenig an eine Kirchenorgel, aber warum nicht? Mit all diesen Verzierungen ist es wahrscheinlich extrem aufwändig, den Ofen zu öffnen und eine neue Säule einzusetzen. Und will man gar den Stuhl verschieben, wird man feststellen, dass er mit dem Regal sozusagen verschmolzen ist. Bei der Glasgefäßen rechts neben dem Tisch war der Glasbläser sehr kreativ – sie durchdringen einander und schweben teilweise, und was steigt da die kleine Leiter hoch? Ist das ein Homunculus in der Art von Daniel Düsentriebs „Helferlein„? Dies sind alles Fehler, die ein menschlicher Illustrator, selbst einer vor 700 Jahren, nicht gemacht hätte.
Rein ästhetisch ist dieser hier mein absoluter Favorit. Die Natur der Objekte in den Medallions ist zwar nicht zu entschlüsseln, das Teil, an dem der Alchimist gerade arbeitet, ist, um ein beliebtes Wort zu verwenden, unklar, einige Teile des Apparats scheinen wieder mal zu schweben, aber es ist ein schönes Bild. Das Beste daran ist der Teil der Apparatur hinter dem Rücken des Alchimisten, der gleichzeitig ein tragendes Teil des Baldachins ist. Nicht sehr wartungsfreundlich, aber wer legt angesichts eines solchen Ambientes Wert darauf?
Der Teufel ist schuld
Der Teufel ist immer daran schuld, wenn im Labor was schiefläuft. Er schleicht sich von hinten an und sprenkelt ein wenig Höllenschlacke in den Ansatz.
Je wirklichkeitsferner die Bilder werden, desto weniger kann verkehrt laufen. Hier sind es wirklich nur ein paar Details, die darauf hinweisen, dass es sich eben nicht um eine echte alte Illustration handelt: Die Finger an der rechten Hand des Teufels, die komplett unsystematische Durchnummerierung der Objekte, die man (in ordentlicher Weise) etwa bei Georg Agricola, „DE RE METALLICA“ [2], schon sehen kann. Der Dreizack hat eine lose Spitze. Auf dem Tisch steht, soweit ich Minuskelschrift entziffern kann, „chromohzlter“, und auf dem Heizbad „Dilyf…“. Dennoch spiegelt das Bild die Gefühle eines Drittsemesters bei der organischen Synthese sehr gut wider.
Ich denke persönlich, dass wir nur noch Monate von einer Zeit entfernt sind, in der KI-generierte Bilder und Deep Fakes nicht mehr durch Betrachtung allein unterschieden werden können. Die Technik wird sich definitiv als disruptiv erweisen, aber vielleicht auch auf positive Weise, wenn z. B. mehr als die Hälfte aller Bilder auf Social Media-Plattformen „nur gemalt“ sind. Wen kümmern dann perfekte Körper an teuren Reisezielen noch etwas? Die negativen Seiten wurden schon weithin diskutiert – auch die inherenten Gefahren für die Demokratie – aber diese Diskussion überlasse ich anderen, die sich besser damit auskennen.
Ihnen wünsche ich ein fröhliches Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr, in welchem es dann mit dem ungeliebten chemischen Rechnen weitergehen wird.
Ihre
[1] Und wie extrem antiintuitiv das Ergebnis aussehen könnte, zeigt z. B. der Spektrum-Artikel über den zukünftigen Superkontinent Pangäa Ultima, der leider überhaupt kein einladender Ort sein wird.
[2] Vom Hüttenwesen. Mehr Bilder aus diesem frühen Handbuch finden sich unter dem Wikimedia-Link auf der Seite.
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