Wenn sich ein Molekül einer Oberfläche nähert – sei es ein Wassermolekül einem Trockenmittel, oder ein Stickoxidmolekül einer Katalysatoroberfläche – kann es dort chemisorbiert oder physisorbiert werden. Worin besteht der Unterschied, und wie kann man ihn feststellen, und warum ist die Unterscheidung wichtig?
Definitionen
Die IUPAC hat für die Begriffe die folgenden Kriterien zur Unterscheidung festgelegt [1]:
Chemisorption:
- Die Adsorptmoleküle werden beim Auftreffen auf die Oberfläche chemisch verändert, d. h. ihre Bindungsstruktur und Elektronendichteverteilung ändern sich in signifikanter Weise.
- Bei Einkristallen gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Kristallebenen.
- Es bildet sich eine monomolekulare Schicht aus.
- Der Vorgang ist chemisch selektiv; Chemisorption findet nur bei ausgewählten Adsorpt-Adsorbens-Paaren statt.
- Der Adsorptionsvorgang wird in den meisten Fällen eine Aktivierungsenergie benötigen, was zur Folge hat, dass sich die Gleichgewichtsbeladung bei höherer Temperatur schneller einstellt.
- Die Adsorptmoleküle [2] werden durch kurze, starke Bindungen an der Oberfläche gehalten, die chemischen Bindungen ähneln.
- Die Adsorptionsenthalpie liegt in der Größenordnung chemischer Bindungsenergien, also zwischen 50 und 500 kJ/mol (das ist aber kein scharfes Unterscheidungskriterium)
- Der Vorgang ist irreversibel oder nur mit „Gewalt“ (hohen Temperaturen, einer chemischen Behandlung der Oberfläche) rückgängig zu machen.
Beispiele für Chemisorption sind z. B. die Wirkungen mancher Trockenmittel (Phosphorpentoxid adsorbiert Wasser nicht nur, sondern reagiert mit diesem zu Phosphorsäure), die Vergiftung eines Katalysators durch Schwefelverbindungen (es bilden sich Metall-Schwefel-Verbindungen aus) oder reaktive Filtermaterialien wie Purafil, die die VOCs nicht einfach adsorbieren, sondern sie chemisch zu weniger flüchtigen Verbindungen oxidieren.
Physisorption:
- Die Adsorptmoleküle werden durch die Adsorption nur geringfügig verändert.
- Kaum oder keine Unterschiede im Adsorptionsverhalten verschiedener Kristallebenen.
- Bedeckung durch Mehrfachschichten ist möglich.
- Der Vorgang kann mit jedem Adsorpt-Adsorbens-Paar unterhalb der kritischen Temperatur ablaufen (wenn auch in vielen Fällen nur zu einer sehr niedrigen Gleichgewichtsbeladung).
- Der Vorgang hat keine Aktivierungsenergie, ist daher schneller als Chemisorption.
- Die Moleküle werden durch längere, schwächere Bindungskräfte, wie van-der-Waals-Kräfte (Dispersionskräfte), Dipol/Dipol-Wechselwirkungen, Ionen-Dipol-Wechselwirkungen oder Wasserstoffbrückenbindungen, an der Oberfläche gehalten.
- Die Adsorptionsenthalpie liegt in der Größenordnung der Kondensationsenthalpie, also unterhalb von 50 kJ/mol.
- Der Vorgang ist vollständig reversibel.
Beispiele für Physisorption sind z. B. die Adsorption vieler VOCs an Aktivkohle oder die Ausbildung einer Wasserhaut auf metallischen Oberflächen.
Es gibt zahlreiche Vorlesungsskripte und Grundlagenpapiere im Internet, die die Vorgänge genauer erklären [3, 4].
Dabei muss immer beachtet werden, dass die Unterscheidung zwischen Physi- und Chemisorption nicht scharf ist:
- Es gibt Physisorptionsvorgänge, deren Adsorptionsenthalpie gut über 50 kJ/mol liegt, die aber, weil das Adsorpt reversibel und ohne Aktivierungsenergie gebunden ist, dennoch als Physisorption aufgefasst werden müssen.
- Manche Oberflächen sind heterogen (hier geht’s direkt von der Wissenschaft in die Praxis!), gerade bei Zeolithen ist das der Fall. Diese Oberflächen können größtenteils physisorbierend wirken, haben aber einige aktive Zentren, an denen Chemisorption und anschließende Umsetzung stattfindet.
- Ein Katalysator muss die Reaktanden aus dem Trägergas zunächst einmal chemisorbieren (sonst wären sie nicht aktiviert), die Reaktionsprodukte jedoch müssen ähnlich wie bei der Physisorption leicht desorbiert werden und dürfen sich nicht merklich an der Oberfläche anreichern.
Warum ist der Unterschied von Bedeutung?
In der Praxis ist der bedeutendste Unterschied die Reversibilität des Vorgangs:
- Ein physisorbierter Schadstoff steht immer mit der Gasphase im Gleichgewicht, so dass sich in manchen Fällen mit einem Chemisorptionsmittel bessere Reingaswerte erzielen lassen. Das Chemisorptionsmittel lässt sich naturgemäß durch Desorption nicht zurückgewinnen.
- Ein Katalysator wird durch dauerhaft chemisorbierte Verbindungen zerstört („vergiftet“).
Unterscheidungsmöglichkeiten
Einfache Unterscheidungsmöglichkeiten für die Frage, ob in einem Einzelfall nun Physisorption oder Chemisorption vorliegt, gibt es leider nicht. Oft wird man auf Basis der chemischen Reaktivitäten und der Beobachtung, ob der Vorgang reversibel ist oder nicht, schon eine praxistaugliche Unterscheidung treffen können. Auch die Temperaturabhängigkeit der Kinetik (also der Geschwindigkeit, mit der sich ein Gleichgewicht einstellt) ist ein Hinweis – Prozesse, die mit steigender Temperatur schneller ablaufen, sind Chemisorptionsprozesse. Will man es aber ganz genau wissen, muss man das Adsorbat – also den Komplex aus Adsorbens und Adsorpt – untersuchen.
Das Adsorbat kann z. B. mit temperaturprogrammierter Desorption (TPD, manchmal auch als thermische Desorptionsspektroskopie bezeichnet) untersucht werden [5, 6]. Damit kann unter anderem die Adsorptionsenthalpie gemessen werden, aber auch die vollständige Reversibilität der Adsorption überprüft werden, wenn man die adsorbierte Menge auf der Probe kennt. Gerade Mischformen von Chemi- und Physisorption (die erste Schicht ist chemisorbiert, die daraufliegenden Schichtensind physisorbiert) können so gut erkannt werden.
Spektroskopische Untersuchungen liefern einen Hinweis auf die Bindungsstruktur des Adsorbats und können im Vergleich zum freien Molekül zeigen, wie groß die Veränderungen sind, die das Molekül beim Binden an die Oberfläche durchlaufen hat. Einiges über Spektroskopie ist schon im Newsletter „Reinschauen ohne aufzumachen“ im Abschnitt über IR-Spektroskopie gesagt worden. Mehr Informationen bietet ein Online-Skript der Queen Mary University of London [7], vor allem im Abschnitt 5.
Videos
Auf YouTube habe ich nur zwei Animationen zum Thema gefunden, vielleicht kennt jemand ja noch weitere Links.
- Ein wenige Sekunden kurzer Film zeigt die Adsorption eines Ethylenmoleküls an eine durch Stufenversatz gestörte Silberoberfläche.
- Ein anderes Video zeigt ein physisorbiertes Thiol, das in den chemisorbierten Zustand übergeht. Man sieht zwar wenig (schon gar nicht das „Heranrücken“ an die Oberfläche), aber bei 22 s löst das Schwefelatom (gelb) die Bindung zu seinem Wasserstoff (weiß), weil es statt dessen eine chemische Bindung zu dem Galliumatom der Oberfläche (dunkelviolett) eingeht, an das es vorher physisorbiert war.
- Auf Nature wurde eine Arbeit über die Adsorption von Wasserstoff an Palladium-Oberflächen publiziert. Das dazugehörige Video (für Quicktime) wirkt zunächst nicht sonderlich spektakulär, bis man sich klarmacht, dass hier tatsächlich mit Rastertunnelmikroskopie die einzelnen Wasserstoffatome auf der Oberfläche beobachtet werden. Der graue Hintergrund zeigt die monomolekulare Bedeckung der Pd(111)-Oberfläche, die hellen Flecken sind freie Plätze, die sich durch das Wandern der adsorbierten Teilchen auf der Oberfläche bewegen.
Quellen & Lesestoff zum Thema:
[1] „Chemisorption and Physisorption„, IUPAC 2002
[2] Ein Glossar zu Adsorptionsbegriffen findet sich im Lexikon der Physik oder auf der Website der Jenoptik Katasorb GmbH. Ein kurzes deutschsprachiges Skript über die Grundlagen der Adsorption (auch der Unterscheidung zwischen Chemi- und Physisorption) können Sie auf der Website der Uni Oldenburg herunterladen.
[3] Das Skript „Grenzflächenchemie“ der Uni Dortmund geht vor allem auf die Aufnahme von Adsorptionsisothermen und deren Auswertung ein.
[4] Ein weiteres Skript „Adsorption of gases on solids“ von der Wayne State University geht vor allem auf die energetischen Aspekte der Chemi- und Physisorption ein.
[5] Temperatur-programmierte Desorption, kurzer Artikel auf Wikipedia.
[6] Thermische Desorptionsspektroskopie (TDS), mathematisch etwas detaillierter und mit einem Beispiel dargestellt.
[7] „An Introduction to Surface Chemistry„, Roger M. Nix, Fachbereich Biologische und Chemische Wissenschaften, 2003.
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