Anmerkung vorab: Das mittlerweile fast zur Pflicht gewordene „Gendern“ eines Textes verbessert nicht dessen Lesbarkeit. Die Autorinnen wissen aus naheliegenden Gründen sehr gut, dass Informationsspezialisten auch Informationsspezialistinnen sein können – vielleicht sind letztere sogar in der Überzahl. In folgendem Text sind mit jeder Berufsbezeichnung jeweils beide Geschlechter gemeint.
Der Megasaurus Infobrokicus
Es ist kaum vorstellbar, dass noch vor 15 Jahren Projekte ohne eine vorausgehende Internetrecherche begonnen wurden. In den vergangenen 20 Jahren (erste Infobroker gibt es seit den 80er Jahren) entstand zunächst das Berufsbild des Infobrokers, also eines Dienstleister, der wusste, wie man die vielen, mittlerweile vom Markt verschwundenen Suchmaschinen bediente. Erinnern Sie sich noch an Fireball? An Northernlight? An Teoma?
Daneben gab es noch Leute, die immer schon Datenbankenrecherchen über die alten Zugänge wie Telnet angeboten hatten, hauptsächlich Bibliothekarinnen.
Ausgestorben?
Mittlerweile kommen wir alle mit dem Suchmaschinenmarktführer gut zurecht, und die kommerziellen Datenbanken haben eine Weboberfläche erhalten. Die „klassischen“ Infobroker, die nach allem suchen was verlangt wird, scheinen mehr oder weniger verschwunden zu sein. Heutige Informationsdienstleister sind zumeist Fachleute auf einem Gebiet – etwa Wissenschaftler, Ingenieure oder Patentspezialisten – die das Recherchieren, wie es für ihr Fachgebiet üblich ist, ebenfalls beherrschen.
Wie bei allen auf Wissen basierenden Arbeiten können Recherchen professionell und nutzbringend durchgeführt werden, oder dilettantisch, mit wertlosem oder gar irreführendem Ergebnis. Dies gilt für selbst gemachte Recherchen ebenso wie für in Auftrag gegebene. Während es die Aufgabe der Recherchierenden ist, bei der einzelnen Information die Spreu vom Weizen zu trennen, muss der Auftraggeber einer Recherche in der Lage sein, die Qualität der Recherche als Ganzes zu beurteilen, möglichst schon in der Angebotsphase.
Qualitätsmerkmale einer Recherche: Nach welchen Kriterien können Recherchen als Ganzes beurteilt werden?
Um eine Recherche (oder ein Rechercheangebot) zu beurteilen, muss der Zweck der Recherche vorher definiert werden. „Einfach mal schauen, was es gibt“ ist nichts als Zeit- und Geldverschwendung. Je nach Aufgabenstellung kann eine Recherche ganz unterschiedliche Zielsetzungen haben. Sie soll zum Beispiel:
- Einfach eine gewisse Zahl von Resultaten liefern, z. B. 5.000 neue Adressen von Handwerksbetrieben mit mehr als drei Angestellten, oder die detaillierte Beschreibung eines technischen Verfahrens, etwa für einen Schriftsteller.
- Die vollständige Auflistung von Daten aus einem bestimmten Gebiet liefern. Ein Beispiel wäre eine komplette Auflistung lieferbarer Bücher zu einem bestimmten Fachgebiet, z. B. für ein Exposé.
- Eine vollständige Zusammenstellung der Patente auf einem technischen Gebiet, bevor ein neues Produkt entwickelt, produziert, vermarktet wird (das ist die bekannte „Freedom-to-Operate“-Recherche)
- Einen vollständigen Datensatz liefern, z. B. die Wechselwirkungen einer Liste von Pharma-Wirkstoffen untereinander oder bestimmte physikalische Daten für eine Liste von Chemikalien.
Rechercheziel erreicht?
Ob das Rechercheziel als solches erreicht wurde, ist im ersten und vierten Fall leicht zu überprüfen: Nachzählen genügt. Was aber, wenn nicht die erforderliche Anzahl an Resultaten herausgekommen ist? Und was ist im Fall 2 oder 3? Woher wissen wir, ob wir alles gefunden haben, was es zu finden gibt?
Wir können es natürlich nicht wissen. Selbst die sorgfältigste Pharmakovigilanzstudie oder Patentrecherche wird vielleicht nicht einen gewissen Bericht in irgend einem medizinischen Journal oder ein bestimmtes Patent am anderen Ende der Welt finden. „Alles“ zu finden, muss deshalb nicht immer das Ziel sein. Wir benötigen einen gemeinsamen Nenner, eine Vereinbarung darüber, welche Quellen für unsere Fragestellung als relevant anzusehen sind.
Recherchestrategie
Das Vorhandensein einer solchen – für jede Recherche eigens erstellten – „Recherchestrategie“ ermöglicht es uns, die zu erwartende Verwendbarkeit der Ergebnisse abzuschätzen.
Für eine Freedom-to –Operate-Patentrecherche könnte das heißen: Alle elektronisch referenzierten europäischen Patente, ebenso US-Patente vom USPTO, und alle elektronisch zugänglichen japanischen Patente werden durchsucht. Diese Strategie macht Sinn, wenn man das Umfeld einer Erfindung abschätzen will, bei welcher der Markt für das Endprodukt die westlichen Industrienationen sind. Hingegen für einen Historiker, dessen Thema die Geschichte eines bestimmten Verfahrens ist, wäre diese Stoffauswahl nicht sinnvoll.
Für die Suche nach Studien über Wechselwirkungen von Wirkstoffen untereinander: Alle in MEDLINE referenzierten Stellen, sowie alle Datenbanken zu Medizin und Pharmakologie, welche über die deutschen Fachinformationszentren zugänglich sind. Was bei dieser recht breiten Suchstrategie nicht gefunden werden kann, fällt vereinbarungsgemäß unter den Tisch.
Fragen vor der Recherche
„Das Problem zu erkennen ist wichtiger als die Lösung zu erkennen, denn die genaue Darstellung des Problems führt zur Lösung.“ (Albert Einstein)
Zur Erstellung einer Recherchestrategie müssen die folgenden Punkte geklärt werden:
- Wie lautet meine Frage?
- Welche Art von Informationen brauche ich zu ihrer Beantwortung?
- Wie vollständig müssen diese Informationen sein?
- Welche Quellen werde ich benutzen, und warum genau diese?
- Wie werde ich den Endpunkt der Recherche erkennen können?
- Wie viel Geld wird die Beschaffung dieser Information schätzungsweise kosten?
Ein Informationsprofi wird diese Fragen beantworten können, was erst möglich ist, wenn er oder sie einen gewissen Überblick über die Datenbankenlandschaft gewonnen hat. Einige Fragen, die Sie dem Dienstleister zur Überprüfung stellen können, lauten:
- Gibt es für diese Informationen eine Datenbank, die als Standard gilt?
- Wie groß schätzen Sie den Anteil nicht gefundener Information bei dieser Strategie?
Und werfen Sie unbedingt einen Blick auf die genannten Datenbanken: Wurden nur kostenlose, frei zugängliche Datenquellen verwendet, so muss es dafür zumindest einen guten Grund geben. Google Scholar und Medline in allen Ehren – manchmal sind sie aber nicht genug.
Wann lohnt sich die Zusammenarbeit mit Informationsdienstleistern?
Eine Recherche kostet immer Geld, ob nun die Arbeitszeit eines eigenen Mitarbeiters oder das Honorar eines Infobrokers. Während man (vielleicht subjektiv) zunächst Geld spart, wenn man die Recherche selbst macht, muss man später mit minderwertigem Datenmaterial arbeiten, falls man selbst für die Recherche nicht ausreichend qualifiziert war.
Drei „Dimensionen“ des Wissens kommen bei einer Recherche ins Spiel:
- Das eigene Fachwissen
- Fremdes Fachwissen, also solches, welches man selbst nicht hat
- Recherchetechniken.
Bei jeder Frage werden alle drei Komponenten benötigt, um sie durch eine nutzbringende Datensuche beantworten zu können. Die Bausteine werden aber in unterschiedlichen Ausmaß benötigt.
Es gibt Fälle, in denen Sie nur ihr eigenes Fachwissen benötigen: Andere Fachgebiete als Ihr eigenes spielen in die Fragestellung nicht hinein, und die anzuwendenden Quellen (etwa Online-Lieferantenverzeichnisse oder Branchenbücher) benötigen kein vertieftes Wissen in Recherchetechniken. Eine solche Suche können Sie ohne weiteres selbst machen und werden sie nur dann extern vergeben, wenn es Ihnen an Kapazität mangelt.
Fremdes Wissen benötigt:
Manche Fragestellungen benötigen aber vertieftes Recherchewissen, das technische Wissen haben Sie hingegen selbst. Was Sie benötigen, ist der Zugriff zu Datenbanken und die Kenntnis des Umgangs mit ihnen. Das gefundene Material können Sie selbst beurteilen und den Verlauf der Recherche bestimmen. Auch die Resultate können Sie selbst auswerten. Sie werden aber den Rechercheur, je nach dessen Vorbildung, für ihr Fachgebiet qualifizieren müssen, denn nach etwas Komplexem zu suchen, über das man nichts weiß, ist so schwierig wie etwas zu zeichnen, das man nicht kennt.
Vor allem bei Patentrecherchen, bei denen Vollständigkeit angestrebt wird, sind die Fachleute, die das Know-how über Datenbanken und Recherchetechniken haben, im Vorteil, denn sie brauchen weniger Zeit und erhalten meist bessere Ergebnisse.
In vielen Fällen betrifft die Problemstellung ein Fachgebiet, in welchem Sie selbst kein Experte sind, z. B. Patente oder eine Wissenschaft. In diesen Fällen sind Sie darauf angewiesen, dass das gefundene Material für Sie verwertbar gemacht wird. Der Informationsspezialist, den Sie suchen, muss gleichzeitig auch auf dem Fachgebiet ein Experte sein, da es sonst niemanden gibt, der Verlauf und Ergebnis des Rechercheprozesses kontrollieren kann. Ihre Frage bliebe unbeantwortet.
Teil 2 im November: Wie finden Sie den richtigen Dienstleister, wie gestalten Sie die Anfrage so, dass Sie ein aussagekräftiges Angebot und eine Roadmap für den Prozess erhalten?
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